live and work



Von Werner Meschkank, Wendisches Museum/Serbski muzej (1/2006) - Am 25. Januar beginnen die Sorben (Wenden) das Brauchtumsjahr mit der Vogelhochzeit, obersorbisch-wendisch „ptači kwas“, niedersorbisch-wendisch „ptaškowa swajźba“. Es ist einer der populärsten Bräuche in der Lausitz. Er erfuhr in den zurückliegenden vier Jahrzehnten sogar eine ansehnliche Erweiterung. Ursprünglich nur bei den Obersorben bewahrt, hat sich das Fest seit einigen Jahrzehnten inzwischen auch in der Niederlausitz etabliert. Lehrerinnen, Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen lernten den Brauch während des Studiums am Sorbischen Lehrerbildungsinstitut in Bautzen kennen, brachten ihn in den damaligen Bezirk Cottbus mit und feierten ihn mit den Kindern. Das fand Anklang und wurde zur Tradition.

Der Überlieferung nach feiern die Vögel am besagten 25. Januar Hochzeit. An dem Tag soll man keinen Baum fällen! Der “hawron” (Krähe) und die “sroka” (Elster) sind das Brautpaar, das sich viele Gäste zum Fest einlädt. Wahrscheinlich wurden beide aufgrund ihrer Gefiederfarbe (schwarz bzw. schwarz-weiß) als Bräutigam und Braut erwählt, da sie damit dem Brautpaar der traditionellen wendischen Hochzeit entsprechen.

Die Kinder stellen am Morgen ein leeres Tellerchen oder Schüsselchen aufs Fensterbrett. Sie erhalten – sozusagen von der Hochzeitstafel – Süßigkeiten, die ihnen die Elster bringt. Dies geschieht natürlich heimlich, und sie darf dabei nicht gestört werden. Es ist also eine Art Bescherbrauch, wie man ihn vom Nikolaustag kennt – nur viel, viel besser: Die Kinder (aber nur die artigen) dürfen das Tellerchen leeren und nochmals hinstellen! Die Elster kommt womöglich ein zweites und auch ein drittes Mal, meint, sie habe doch hoffentlich kein Kind vergessen, und bringt weitere Süßigkeiten. Es kann freilich auch passieren, dass ein Zweig oder ein Stückchen Kohle auf dem Teller liegt ...

Besonders gut kann man das Fest gemeinsam im Kindergarten oder Hort feiern und dann mit einem Umzug mit Hochzeitspaar und bunter Vogelgesellschaft. Vogelhochzeitslieder werden gesungen, und es wird getanzt. Manche stellen mit viel Liebe zum Detail sogar kleine Hochzeitsgesellschaften mit wendischen Trachten und selbst gebastelten Vogelkostümen zusammen.

Das Fest kennt auch kulinarische Besonderheiten: Die Bäcker in der Oberlausitz backen jedes Jahr zur Vogelhochzeit aus süßem Teig Näschereien in Vogelform und fertigen Schokolade-Nester mit bunten Bonbon-Eierchen sowie Vögelchen aus süßem Zuckerschaum. Traditionell ist ein “sroka” (Elster) genanntes Gebäck aus süßem Brötchenteig mit Zuckerguss und Mandel- oder Rosinenaugen, das aussieht wie eine im Nest sitzende Elster. Leider lassen sich viele Bäcker in der Niederlausitz das Sondergeschäft immer noch entgehen.

Die Erwachsenen feiern ebenfalls Vogelhochzeit. Um 1880 ist solch eine Festlichkeit bei Bauern um Crostwitz dokumentiert. Um 1920 haben sorbische (wendische) Vereine und tüchtige Gastwirte den Brauch zum Anlass für gemeinsame Feiern genommen. Seit 1957 gestaltet das Sorbische National-Ensemble (SNE) alljährlich Vogelhochzeitsfeste für Erwachsene mit Liedern, wunderschönen Trachten und Tänzen. Auch ein sorbischer (wendischer) Hochzeitsbitter darf nicht fehlen. Ein spezielles Vogelhochzeitsprogramm, vom SNE mit besonders viel Liebe gestaltet, gibt es für die Kinder. Über Entstehung und ursprünglichen Sinn des Brauches ist überraschend wenig bekannt. Der 25. Januar – einst als Tag der Wintermitte angesehen – ist als feststehendes Datum ungewöhnlich, da ja in der Natur bei uns oft härtester Frost und Winter herrschen, dass einem die Schwanzfedern abfrieren könnten. Indes sollen um diese Zeit wohl tatsächlich schon die ersten Vögel ans Hochzeiten denken und mit Balz und Nestbau beginnen.

Vermutlich wurzelt der Brauch in vorchristlicher Zeit und geht auf einstige Begräbnissitten der Lausitzer Sorben (Wenden) zurück. Gefäße mit dem Leichenbrand wurden auf künstlichen Erdhügeln abgestellt, und im Gedenken an die Verstorbenen wurden Speisenopfer dargebracht. Vögel, die sich sicherlich daraufhin einfanden, wurden wohl als Seelen der Dahingeschiedenen betrachtet, worauf sich so ein entsprechender Brauch entwickeln konnte?

Auch in der slawischen Mythologie treten Vögel in Erscheinung: Nach einer Legende von der Erschaffung der Welt kreiste der oberste Gott Swantewit in Gestalt eines Schwans über dem Urmeer. Der Schwan galt bei den Rügenslawen auch als der Bringer der Kinder; Neugeborene nannte man Schwanenkinder. Dem Gott Rugiaevit wird eine Schwalbe als Symbol zugeschrieben, die als Verkünderin des Frühlings galt, so dass man ihr (allerdings am 1. März) sogar ein Fest widmete. In Schwalben sah man auch die Seelen der Verstorbenen. Der Gott Radegast trug als göttliches Symbol auf dem Kopf einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Die Göttin Siwa nahm im Frühling die Gestalt eines Kuckucks an, den man, sobald dessen Ruf zum ersten Mal erscholl, um die Anzahl der verbleibenden Lebensjahre befragte.

Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an eines der Prunkstücke in der Cottbuser Museumssammlung zur Vor- und Frühgeschichte: die Vogelschale, eine Keramik der Lausitzer Kultur aus der Bronzezeit, die von Archäologen im Kreis Cottbus-Land ausgegraben worden ist. Könnte sie etwas mit der Vogelhochzeit zu tun haben? Es wird um den einzigartigen sorbischen (wendischen) Brauch wohl so manches Geheimnis bleiben.