Regierungserklärung von Ministerpräsident Dietmar Woidke auf der 91. Sitzung des Landtages Brandenburg (5. Wahlperiode)
02. April 2014
Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vor einem Jahr hat dieses Hohe Haus das Volksbegehren für mehr Nachtruhe angenommen. Der Erfolg dieses Volksbegehrens hat eines deutlich gemacht: Wir haben in Brandenburg eine lebendige und eine streitbare Demokratie. Mit der Annahme des Volksbegehrens und einer ergänzenden Entschließung hat der Landtag am 27. Februar des letzten Jahres im Wesentlichen drei Erwartungen an die Landesregierung formuliert.
Erstens: Die Landesregierung soll in Verhandlungen mit Berlin über eine Änderung des Landesentwicklungsprogramms eintreten.
Zweitens: Die Landesregierung soll mit den Gesellschaftern der Flughafengesellschaft über eine Änderung der Betriebsgenehmigung für mehr Nachtruhe verhandeln.
Drittens: Es sollen weitere betriebliche Maßnahmen für mehr Nachtruhe am BER erörtert und geprüft werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung ist dann unmittelbar mit den beiden Gesellschaftern in Verhandlungen eingetreten - engagiert und ernsthaft.
Es war dabei von Anfang an klar - auch daran hat die Landesregierung nie einen Zweifel gelassen -, dass wir einen sehr schwierigen Auftrag erhalten haben, und zwar aus mindestens drei Gründen.
Erstens: Die rechtlichen Handlungsspielräume - das stellt schon der Landtagsbeschluss vom 27. Februar 2013 klar fest – sind eng begrenzt.
Zweitens: Unsere Verhandlungspartner - auch daran haben sie in den letzten Monaten und Jahren kaum einen Zweifel gelassen - sehen überhaupt keinen Bedarf, den vor dem Bundesverwaltungsgericht erreichten Kompromiss der Nachtflugregelung zu ändern. Damit gibt es für sie keine Notwendigkeit, mit uns zu verhandeln. Das haben sie von Anfang an sehr deutlich gemacht.
Drittens: Unsere Verhandlungspartner befürchten auch, dass der Wirtschaftlichkeit des Flughafens schwerer Schaden zugefügt werden könnte. Der Bund sieht sogar den Flughafenstandort Deutschland in Summe in Gefahr.
Ich sage ganz deutlich: Die Interessen der Brandenburgerinnen und Brandenburger haben für die Landesregierung oberste Priorität. Dafür haben wir in den letzten Monaten gekämpft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung nimmt die Sorgen und Befürchtungen der Anwohnerinnen und Anwohner des Flughafens Berlin-Brandenburg sehr ernst. Der politische Handlungsauftrag des Landtages war und ist Leitschnur und Grundlage unseres Handelns. Deshalb haben die zuständigen Minister, der Chef der Staatskanzlei, der Flughafenkoordinator und natürlich auch ich selbst in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Gesprächen geführt - mit dem Land Berlin, mit dem Bund, mit Fluggesellschaften, der Deutschen Flugsicherung, mit Vertretern von Verbänden der Luftverkehrswirtschaft und Vertretern der Wirtschaft aus der Region Berlin-Brandenburg. Auch mit den Bürgerinitiativen und Anrainerkommunen haben wir in den letzten Monaten ganz bewusst das Gespräch gesucht; denn wir nehmen das Anliegen dieses Volksbegehrens sehr ernst. Wir wollen mehr Nachtruhe und somit eine Verringerung des Fluglärms für die Anwohnerinnen und Anwohner erreichen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Möglichkeiten stehen uns nun zur Verfügung? - Das vom Landtag angenommene Volksbegehren fordert die Landesregierung zu Verhandlungen mit Berlin und zur Änderung der Landesentwicklungsplanung auf. Wir haben diesen Vorschlag nochmals gründlich analysiert, obwohl die Rechtsauffassung der Landesregierung schon vorher hier bekannt gemacht wurde. Dabei hat sich unsere Auffassung aus dem vergangenen Jahr bestätigt: Dieser Weg kann schon aus rechtlichen Gründen nicht zu einem erweiterten Nachtflugverbot und somit zu mehr Nachtruhe für die Anwohner des BER führen.
Gleichwohl haben wir mit den Vorbereitungen einer gemeinsamen Landesplanungskonferenz der Länder Berlin und Brandenburg begonnen, die voraussichtlich Anfang Mai stattfinden wird und dann eine Empfehlung aussprechen soll. Nach allem, was ich im Moment absehen kann, bleibt es aber dabei, was bereits der Landtag in seiner Entschließung am 27. Februar des Jahres 2013 formuliert hat: Eine Änderung der Landesplanung ist beim besten Willen kein gangbarer Weg, um die Intention des Volksbegehrens umzusetzen und mehr Nachtruhe für die Anwohner zu erreichen. Auch die Forderung nach einem Brandenburger Alleingang bei der Durchsetzung eines verschärften Nachtflugverbotes führt uns keinen Schritt weiter; denn ein solcher Alleingang ist eben rechtlich nicht möglich. Das ist die vielfach bestätigte und überwiegende Rechtsauffassung.
Ein geeigneter Weg ist es hingegen, wenn die Gesellschafterversammlung der Flughafengesellschaft die Geschäftsführung beauftragt, eine entsprechende Änderung der Betriebsgenehmigung zu beantragen. Der Inhalt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist klar: Ausweitung des Flugverbotes auf 22 bis 6 Uhr. Deshalb haben wir im Februar 2014 die sofortige Einberufung einer Gesellschafterversammlung gefordert und einen entsprechenden Antrag für ein solches Mandat vorbereitet. Meine Damen und Herren, dieser Antrag - Ausweitung des Flugverbotes auf 22 bis 6 Uhr - wird am 7. April in der Gesellschafterversammlung zur Abstimmung stehen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der bereits verkündeten Meinung will ich auch nicht um den heißen Brei herumreden: Eine einvernehmliche Lösung mit dem Bund und mit Berlin im Sinne einer Ausweitung des Nachtflugverbotes auf 22 bis 6 Uhr ist nicht erreichbar. Die Gesellschafter Bund und Berlin haben uns in den zurückliegenden Verhandlungen unmissverständlich wissen lassen, dass sie einer Änderung des höchstrichterlich bestätigten Planfeststellungsbeschlusses nicht zustimmen werden. Diese klare Ansage hat mich veranlasst, einen Kompromissvorschlag zu unterbreiten, der den Planfeststellungsbeschluss unberührt lässt.
Mein Vorschlag lautet: Die Flughafengesellschaft verzichtet freiwillig - mit Zustimmung der Luftfahrtbehörden - in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhr morgens auf den Gebrauch ihrer Betriebsgenehmigung, und zwar zunächst in einem Modellversuch von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Flughafens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt im Klartext gesprochen: eine Stunde mehr Nachtruhe für die Anwohner des BER. Dieser Vorschlag kommt dem Ruhebedürfnis der Menschen im Flughafenumfeld entgegen. Mit diesem Kompromiss kommen wir aber auch den anderen beiden Gesellschaftern weit entgegen.
Zum einen müsste hierfür die Betriebsgenehmigung nicht angefasst werden, zum anderen - das ist aus meiner Sicht das gewichtigere Argument - kann niemand mehr ernsthaft behaupten, dass durch eine Aussetzung des Betriebs zwischen 5 und 6 Uhr die Wirtschaftlichkeit dieses Flughafens gefährdet würde. Wir wissen genau, was jetzt vom BER fliegen würde, und wir wissen auch ziemlich genau, was bis zum Jahr 2025 dort fliegen soll. Vielmehr sind es ja die Abendstunden, die für die Fluggesellschaften, den Flughafen und die Region wichtig sind – sowohl hinsichtlich der Flugbewegungen als auch hinsichtlich der Wartung der Flugzeuge. Dass die Wartung von Flugzeugen am BER nachts stattfinden kann, liegt auch in unserem ureigensten Interesse; denn wir wollen, dass die Maschinen möglichst hier ihren Standort haben und somit auch hier Arbeitsplätze schaffen und nicht woanders. Zu guter Letzt würde die Befristung des Modellversuchs auf fünf Jahre dem Betreiber ausreichend Zeit verschaffen, betriebliche Anpassungen vorzunehmen und die Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf das Geschäftsergebnis zu prüfen. Aber natürlich bräuchten wir auch hierfür die Zustimmung der Verhandlungspartner.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Land Brandenburg wird diesen Vorschlag in der anstehenden Gesellschafterversammlung offiziell einbringen. Wir werden diesen Vorschlag auch abstimmen lassen, falls unser Ursprungsantrag - ich erinnere daran: Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr - abgelehnt werden sollte. Mir ist klar: Mit diesem Vorschlag liegt ein neuer Gedanke auf dem Tisch. Ich habe nicht die Erwartung, dass er alle Seiten zu 100 % zufriedenstellen wird. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe auch auf Einsicht; denn Einsicht ist Voraussetzung für ein gedeihliches, gut nachbarschaftliches Miteinander am BER.
Kurzum: Aus meiner Sicht ist dieser Kompromissvorschlag sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich vernünftig und machbar. Er ist für mich auch kein Zurückrudern oder Einknicken – im Gegenteil. Die von mir geführte Landesregierung will mehr Nachtruhe für die Brandenburgerinnen und Brandenburger und nicht mit einer nicht durchsetzbaren Maximalforderung in Schönheit sterben. Am Ende muss es für die Bürger spürbare Erfolge und spürbare Entlastungen geben. Dieser Kompromiss, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein klares Entgegenkommen gegenüber unseren Partnern.
Ich füge hinzu, es ist nicht das erste Mal, dass wir unseren Partnern die ausgestreckte Hand reichen. Möglicherweise müssen wir in der Öffentlichkeit öfter deutlich machen, wer sich für mehr Nachtruhe bewegt und wer mehr Nachtruhe blockiert, auch wenn ich mir persönlich wünsche, dass es nicht so weit kommt. Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines festhalten: Der Flughafen ist und bleibt das zentrale Infrastrukturprojekt der Hauptstadtregion. Das sollte bei allen aktuellen Debatten nicht in Vergessenheit geraten. Wenn der Metropolenraum Berlin-Brandenburg seine wirtschaftliche Attraktivität und Leistungsfähigkeit erhalten will, dann braucht er einen modernen Großflughafen. Nicht zuletzt geht es um Tausende Arbeitsplätze, die direkt und indirekt durch den BER entstehen werden.
Dieser Flughafen ist für unser Land eine riesige Chance. Dies sollten wir bei allen Herausforderungen, die dieses Projekt mit sich bringt, nicht vergessen. Ich sage aber auch klipp und klar: Wirtschaftlicher Erfolg, Lärmschutz und Nachtruhe für die Anwohnerinnen und Anwohner müssen miteinander vereinbar sein.
Als Brandenburger Ministerpräsident fordere ich, dass wir beim Lärmschutz endlich richtig vorankommen. Das Urteil des OVG zum Schallschutz muss ohne Wenn und Aber umgesetzt werden. Ich erwarte, dass die Flughafengesellschaft endlich Taten folgen lässt. Ich sage auch unmissverständlich: Bis zur Eröffnung des BER muss das Schallschutzprogramm entsprechend den rechtlichen Vorgaben umgesetzt sein. Ich erwarte ebenso, dass alle betrieblichen Maßnahmen für mehr Lärmschutz - Routenoptimierung, Anflugwinkel, wechselnde Nutzung von Start- und Landebahn - auch jenseits der Flugzeitenreduzierung verwirklicht werden. Dafür werde ich mich mit aller Entschiedenheit einsetzen; denn ein erfolgreicher Flughafen braucht den Frieden mit dem Umland, wie jedes andere Großprojekt auch.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.