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Vortrag und Lesung zum „Militärknast“ (Archiv)

Foto: Blick in den Veranstaltungsraum
Lesung im Berlischky-Pavillon
Der Berlischky-Pavillon war am Nachmittag des 26. Januar 2014 – einem Sonntag – gut gefüllt. Über 50 Interessierte kamen, um mehr über ein neu erschienenes Buch mit Zeitzeugenberichten zum Militärstrafvollzug und der Disziplinareinheit in Schwedt zu erfahren.

Eingeladen hatten das Stadtmuseum Schwedt/Oder und die Beauftragte des Landes Brandenburg für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur.

Die drei Herausgeber Ilja Hübner, Paul Brauhnert und Arno Polzin kamen nach Schwedt, um aus dem Buch zu lesen und über das Militärgefängnis Schwedt zu informieren bzw. zu diskutieren. Ein disharmonisches Thema bedarf auch einer solchen musikalischen Begleitung. Die Akkordeonistin Susanne Stock hatte lange überlegt, welche Musik die Spannungen zwischen den Zeitzeugen und dem System der DDR am besten trifft. Sie entschied sich für die „Sechs Variationen“ von Jaime Padrós.

Foto: Besucher
Veranstaltungsbesucher
Zuerst gab Arno Polzin einen allgemeinen Überblick über den vermeintlichen „Mythos“ Schwedt. Er verwies auf die schwierige Aktenlage und betonte, wie wertvoll in diesem Fall Zeitzeugen sind. Zum Beispiel fehlen u.a. die Gefangenenakten. Es gibt zwar ein Übergabeprotokoll vom Sommer 1990, das belegt, dass 802 Gefangenenakten von Schwedt nach Strausberg abgegeben wurden. Sie sind dort aber nie aufgefunden worden; auch im Militärarchiv nicht. Polzin berichtete, dass es oft zu einer fließenden Auslegung von allgemeinen Straftaten zu sogenannten Militär- oder gar politisch interpretierten Straftaten kam (Diebstahl wird Beeinträchtigung der Gefechtsbereitschaft, Beleidigung wird staatsfeindliche Hetze, Körperverletzung wird Angriff auf Militärperson/Vorgesetzte). In Schwedt erwartete die durch ein Militärgericht Verurteilten oder die Disziplinarbestraften (ab Ende 1982) dann eine Kombination von Freiheitsstrafe, militärischem Drill und schwerer körperlicher Arbeit. Bei den Disziplinarbestraften kamen besonders lauter Kommandoton und nahezu ständige Bewegung „Im Laufschritt!“ dazu.

Gibt es genaue Zahlen der Betroffenen? Für die Zeit bis 1982, als das Ministerium des Innern für den Militärstrafvollzug in Schwedt zuständig war, gibt es bisher nur Schätzungen. Polzin geht mit anderen Forschern davon aus, dass es sich um bis zu 3 500 militärgerichtlich Bestrafte handelte. Ab Ende 1982 übernahm das Ministerium für Nationale Verteidigung das Objekt. Hierfür kann er konkrete Zahlen nennen: 788 Strafgefangene und 2 524 Disziplinarbestrafte bis zum Ende der DDR.

Polzin arbeitet aktuell beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes an einem Projekt, das den Einfluss der Staatssicherheit im Militärstrafvollzug Schwedt untersucht. Als Zwischenstand kann festgehalten werden, dass die Staatssicherheit unter den Bediensteten durchgängig (von 1968 bis 1989), auch inoffiziell, verankert war. Schwieriger gestaltete es sich, inoffizielle Mitarbeiter unter dem Bestand der Insassen zu finden, da dort die „Belegung“ schneller wechselte. Dennoch konnte er für die Gesamtdauer von über 250 Monaten militärischer Bestrafung in Schwedt für bisher schon 235 Monate mindestens je einen inoffiziellen Mitarbeiter unter den Insassen herausfinden.

Die beiden anderen Herausgeber und Autoren Ilja Hübner und Paul Brauhnert, die auch Zeitzeugen sind, lasen im Anschluss aus dem vorgestellten Buch. Ilja Hübner thematisierte seine persönlichen, schmerzlichen Erinnerungen an sich selbst als 19-jährigen Soldaten im Mot. Schützenregiment Rostock, der am 31. Januar 1985 in Schwedt eingeliefert wurde. Hübner berichtete u. a. vom sogenannten „Einnehmen“ der Aktuellen Kamera, von der tragischen Geschichte eines Mitgefangenen, dessen Grundwehrdienst sich aufgrund seiner Bestrafungen auf mehr als das Doppelte verlängerte, und von seinem Respekt für Taten gegen die verordnete Disziplin. Nach der Armee war für Hübner das Thema DDR erledigt. Er hat sich nicht mehr ein- oder untergeordnet, konnte daher auch in seiner beruflichen Entwicklung nicht mehr beeinträchtigt werden.

Paul Brauhnert las aus dem Zeitzeugenbericht von Günter Meyer, der an diesem Nachmittag auch im Publikum war. Meyer gehörte in den endsechziger Jahren zur ersten Gruppe der in Schwedt inhaftierten Militärstrafgefangenen und erinnerte sich an damalige Kameradschaft und offene Diskussionen unter den Insassen sowie seinen ungebrochenen Widerstand gegenüber den ihn einschüchtern wollenden Autoritäten. Meyer verbrachte selbst innerhalb des Strafvollzugs noch 83 Tage im strengen Arrest; eine zusätzliche, zur vermeintlichen Disziplinierung dienende Strafe, die „am Stück“ bis zu 21 Tage dauern konnte. Vor Arrestantritt wurde man vom Arzt untersucht, nach der Entlassung jedoch nicht. Die Verpflegung war so knapp bemessen, dass viele danach abgemagert waren und dann eine Woche nicht arbeiten konnten.

Brauhnert selbst war in den 1980er-Jahren in Schwedt, weil er aus der DDR fliehen wollte und im Kopf eine Flucht plante, die er jedoch nicht mal ansatzweise umgesetzt hatte. Doch bei der massiven Befragung durch die Staatssicherheit gab er schließlich alles zu.

Nun kamen die bisher Zuhörenden zu Wort. Marie-Anne Subklew, Stellvertreterin der Beauftragten des Landes Brandenburg für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur, moderierte die Diskussion. Die erste Anfrage stellte die Seite der damals Vorgesetzten in den Mittelpunkt: „Was denken Sie, wie sollte ein Weisungsberechtigter in der NVA Ordnung und Disziplin gegenüber Verletzern und Verweigerern umsetzen?“ Gegenfragen aus dem Publikum, in dem auch andere ehemalige Insassen vertreten waren, machten die verschiedenen Sichtweisen deutlich: Was qualifiziert einen Vorgesetzten, Vorgesetzter zu sein? Warum greift ein Soldat einen Vorgesetzten an? Was machen schlechte Erfahrungen mit einem Menschen?

Anschließend wurde die Frage diskutiert, ob sich Armee und Gesellschaftsordnung einander bedingen. Subklew meinte darauf, dass ein Soldat ein Staatsbürger in Uniform ist. Damit haben natürlich Staat und Gesellschaft Einfluss auf die Armee und eine diesbezügliche Verantwortung.

Ein weiterer Zeitzeuge aus dem Publikum berichtete, dass es in der DDR darum ging, den Menschen psychisch zu brechen. Er hatte 1969 die Verantwortung für eine Gruppe Soldaten, die sich am 20. Jahrestag der DDR (7. Oktober) betrank, sodass er wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht angeklagt wurde. Dafür bekam er ein Jahr „Schwedt“. Bereits während der Untersuchungshaft, noch im November, wurde seine Verlobte vorgeladen, um ihr zu sagen, dass er zu nichts tauge und eine Trennung angeraten sei, zumal er doch verurteilt werden würde. Doch erst im Januar 1970 war die eigentliche Gerichtsverhandlung, die Urteilsverkündung dann im Februar. Die Strafe war gegenüber dem Delikt schließlich unverhältnismäßig hoch.

Abschließend waren sich viele einig, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Militärstrafvollzugs richtig und wichtig ist. Die nächste Veranstaltung dazu findet am 23. Februar 2014, um 14:30 Uhr an gleicher Stelle, im Berlischky-Pavillon, statt. Der Archäologe Torsten Dressler präsentiert die Forschungsergebnisse aus seiner Studie zur baugeschichtlichen Entwicklung des Militärstrafvollzugs.

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