11-Punkte-Erklärung zu „Migration und Sicherheit“ / Landrätekonferenz in Potsdamer Staatskanzlei
veröffentlicht am 06.09.2024
Vor dem Hintergrund des Attentats in Solingen verständigte sich Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke mit Landrätinnen und Landräten, Oberbürgermeistern sowie Vertretern der kommunalen Spitzenverbände auf konkrete Schritte für ein abgestimmtes Verwaltungshandeln bei abgelehnten Asylanträgen. An dem Treffen nahmen weitere Mitglieder der Landesregierung und Vertreter der Sicherheitsbehörden teil. Ziel war heute ein Austausch zum aktuellen Stand der Migration im Land sowie Festlegungen zu notwendigen und einheitlichen Maßnahmen, um Rückführungen von vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern möglichst zügig umzusetzen.
Im Anschluss an die Konferenz betonte Woidke: „Vor genau zwei Wochen haben uns die Nachrichten vom furchtbaren Anschlag auf das Solinger Stadtfest erreicht und schwer erschüttert. Wir müssen aus diesem Anschlag lernen und im Schulterschluss von Land und Kommunen alle für uns möglichen Maßnahmen umsetzen, um vollziehbare Ausreiseverpflichtungen durchzusetzen. Geltendes Recht muss umgesetzt werden. Dazu gehören die Meldeverpflichtung, die Einleitung von Fahndungen und das Aussetzen von Geldleistungen. Außerdem haben wir uns zu den Forderungen gegenüber dem Bund abgestimmt. Das vom Bund angekündigte Sicherheitspaket ist ein Schritt in die richtige Richtung und muss jetzt zügig umgesetzt werden, damit wir im Land handeln können. Wir unterstützen auch die Rückführungsoffensive des Bundes, wollen aber eine Ausweitung der Rückführungen.
Die Zugangszahlen von Geflüchteten sind im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 39 Prozent gesunken. Die Grenzkontrollen wirken. Sie müssen beibehalten werden, bis der Schutz der europäischen Außengrenzen funktioniert. Wir appellieren an die Bundesregierung, auch Zurückweisungen an den Grenzen umzusetzen.
Brandenburg war und ist ein offenes und tolerantes Land und steht weiterhin zu seiner humanitären Verantwortung. Wir dürfen aber unsere Belastungsgrenzen nicht überschreiten und müssen Migration wirkungsvoll steuern. Dazu gehört auch die Rückführung und freiwillige Ausreise von vollziehbar Ausreisepflichtigen. Zur Bekämpfung von Radikalisierung, Hass und Hetze werden wir unsere Präventionsstrategien weiter umsetzen und Polizei sowie Verfassungsschutz stärken.“
Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche ein Paket von Maßnahmen zu Migration und Sicherheit verabschiedet, das eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer, Schritte zur Bekämpfung des islamistischen Terrors und eine Verschärfung des Waffenrechts vorsieht.
In der heute auf der Landrätekonferenz beschlossenen 11 Punkte umfassenden Erklärung „Migration & Sicherheit“ werden die von der Bundesregierung mit dem so genannten „Sicherheitspaket“ angekündigten Maßnahmen als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. In der Erklärung heißt es unter anderem: „Die erste Abschiebung von afghanischen Straftätern in ihr Heimatland am 30.08.2024 ist ein wichtiges Signal. Hieran gilt es anzuknüpfen und die Bemühungen auf Ebene des Bundes, des Landes und der Kommunen noch enger zu verzahnen, fortzuführen und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit zu prüfen.“ An die Bundesregierung wird dringend appelliert, „Rückführungen nach Syrien, Afghanistan und Russland zu ermöglichen“.
Es werden konkrete Maßnahmen benannt, darunter die Fortführung der Grenzkontrollen zu Polen „bis der Außengrenzschutz und die Verteilung von Flüchtlingen in der EU funktionieren“. Es wurde vereinbart, eine Meldepflicht umzusetzen und vollziehbar ausreisepflichtige Personen, die untergetaucht sind, sofort zur Fahndung auszuschreiben. Die Landesregierung bietet für Abschiebungen auf Anforderung Rückführungsteams an, die dezentral die kommunalen Ausländerbehörden unterstützen. Die polizeilichen Befugnisse, zum Beispiel auf Volksfesten, sollen erweitert werden (z. B. verdachtsunabhängige Kontrollen). Dazu muss der Bund das Sicherheitspaket rechtlich umsetzen.
Im Text heißt es: „Gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes haben Asylsuchende, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, keinen Anspruch auf ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie müssen bereits an der Grenze von der Bundespolizei zurückgewiesen werden können.“ Die Landesregierung verfolgt mit Nachdruck das Ziel der Neuerrichtung eines Behördenzentrums am BER, um die asylrechtlichen Verfahren dort zu konzentrieren und beschleunigen. Es bleibt zu prüfen, ob die Kapazitäten des Ausreisgewahrsams an dem Standort perspektivisch erweitert werden müssen. Einig sind sich die Beteiligten, dass die Migrationspolitik der Bundesregierung der letzten 10 Jahre dringend überprüft werden muss. (Gesamter Text der Erklärung anbei).
Woidke dankte zum Abschluss der Konferenz den Teilnehmenden und den Menschen, die „seit Jahren konstruktiv an Lösungen mitarbeiten für die Herausforderungen, die mit hoher Zuwanderung und vielen Kriegsgeflüchteten einhergehen und die helfen, den sozialen Frieden zu wahren.“
Innenminister Michael Stübgen: „Die Migrationspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist an einem Punkt angekommen, an dem eine historische Wende unabdingbar geworden ist. Die Migration muss gesteuert, die kommunale Ebene entlastet und das staatliche Sicherheitsversprechen eingelöst werden. Dafür braucht es weitreichende und rechtskonforme Änderungen von Gesetzen und Regelungen. Das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung ist als ein erstes Signal in diese Richtung zu begrüßen. Es mangelt jedoch an konkreten Umsetzungen und entscheidenden Schritten zur umgehenden Reduzierung der Migrationsströme. Brandenburgs Landesregierung und Kommunen sehen sich gemeinsam in der Pflicht, ihren Beitrag zum Gelingen einer Asylwende beizutragen.
Deshalb schließt sich Brandenburg der Forderung nach der Suspendierung von Dublin III und der Anwendung des Artikel 16a des Grundgesetzes an. Die Möglichkeit der Zurückweisung von Migranten, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, ist ein entscheidender Baustein für eine neue Asylpolitik. Insbesondere mit Blick auf den Migrationsgipfel der Bundesregierung in der kommenden Woche brauchen wir Beschlüsse im Sinne unserer heutigen Erklärung.
Wir halten am Konzept einer Landesübergangseinrichtung zur Entlastung der Kommunen fest. Zusätzlich sollen Ausreisezentren für die bessere Umsetzung von Ausreisepflichten geschaffen werden. Brandenburg wird sich gegenüber dem Bund dafür einsetzen, dass er die Zuständigkeit für die Umsetzung von Dublin-Verfahren vollständig übernimmt, den Visa-Hebel für Rücknahmeabkommen anwendet und eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer vornimmt.“
Siegurd Heinze, Landrat des Landkreises Oberspreewald-Lausitz und Vorsitzender des Landkreistages, betonte: „Die aktuellen bundespolitischen Entwicklungen machen es sinnvoll, das Thema auf Landesebene neu zu diskutieren. Die Landkreise, Städte und Gemeinden sind für viele Bereiche der Ausländerangelegenheiten zuständig, die uns als Pflichtaufgaben übertragen wurden. Wir tragen eine hohe Verantwortung und stehen häufig als erste im Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Angesichts der anhaltenden Belastungen der kommunalen Ebene bei der Bewältigung der Asylthematik hat der Landkreistag Brandenburg schon frühzeitig und deutlich auf bestehende Defizite hingewiesen und Forderungen an den Bund formuliert. Denn eines ist klar: Tragbare Lösungen auf Landesebene brauchen vor allem ein solides Fundament auf Bundesebene. Wir begrüßen daher, dass nun wieder Bewegung in das Thema geordnete Zuwanderung und Sicherheitsfragen kommt.
Belastbare Lösungen auch auf Landesebene weiter zu erarbeiten, ist und bleibt dennoch wichtig. Wir werden uns als Landkreistag dafür einsetzen, dass die Gespräche auch nach der Landtagswahl mit einer dann neuen Landesregierung in der etablierten Koordinierungsgruppe Migration fortgesetzt und gemeinsame Forderungen gegenüber dem Bund vertreten werden.“
Dr. Oliver Hermann, Bürgermeister der Stadt Wittenberge und Präsident des Städte- und Gemeindebundes, erklärte: „Es war gut, dass die in den Kommunen auftretenden Herausforderungen heute an den Ministerpräsidenten und zuständige Fachminister herangetragen und mit ihnen erörtert werden konnten. Aus Sicht der Kommunen ist wichtig, dass öffentliche Veranstaltungen wie Volksfeste, Konzerte oder Sportveranstaltungen sichere Orte bleiben. Wir erwarten von der neuen Landesregierung eine spürbare Steigerung der Leistungsfähigkeit der Polizei. Es sind auch mehr Revierpolizisten erforderlich. Eine Herausforderung bleiben die notwendigen Investitionen in die soziale Infrastruktur, die vielerorts an ihre Grenzen stößt.“
Im Jahr 2023 wurden insgesamt 784 Personen aus Brandenburg abgeschoben bzw. sind freiwillig ausgereist (220 Abschiebungen, davon 52 Rücküberstellungen in andere EU-Staaten, 512 freiwillige Ausreisen) - mit Stichtag 30. Juni 2024 waren es 452 Personen (128 Abschiebungen, davon 13 Rücküberstellungen in andere EU-Staaten, 311 freiwillige Ausreisen). Die Tendenz ist damit weiter steigend, im ersten Halbjahr 2024 wurden zwei Drittel der Gesamtzahl von 2023 erreicht.
Durch den Personalausbau allein in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes sind seit 2019 27 zusätzliche Richterstellen geschaffen worden. Damit ist die Zahl der Richter in dieser Gerichtsbarkeit seither um fast 50 Prozent auf derzeit 96 erhöht worden. Dies führte nach Auskunft von Justizministerin Susanne Hoffmann zu einer Verkürzung der Asylverfahren um etwa 50 Prozent.
Bedeutsam bleibt für die Landesregierung die im Jahr 2021 beschlossene Präventionsstrategie gegen islamischen Extremismus im Land Brandenburg. Es geht dabei darum, Radikalisierung zu erkennen, zu verhindern und zu bekämpfen. Demokratie, Werte und Normen sollen verteidigt werden. Die Strategie soll dazu beitragen, Radikalisierungsprozessen bei zugewanderten Musliminnen und Muslimen, aber auch bei Konvertitinnen und Konvertiten ohne Migrationsgeschichte vorzubeugen und für islamischen Extremismus zu sensibilisieren. Eine erfolgreiche Islamismusprävention soll gleichzeitig auch die hier lebenden Musliminnen und Muslime vor ungerechtfertigten Diffamierungen schützen.
Gemeinsame Erklärung Landrätekonferenz zum Download (PDF-Datei)