Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg zu den Themen: 25 Jahre Land Brandenburg sowie zu den Herausforderungen für das Land mit Blick auf die aktuelle Asyl- und Flüchtlingssituation
23. September 2015
Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich hatte ich vor, heute mit Ihnen über die 25 Jahre Land Brandenburg zu reden - über die vergangenen und die kommenden 25 Jahre. Aber es gibt Themen, die heute aktuell sind, deren Aktualität wir vor zwei oder drei Jahren noch anders gesehen haben, die aber dieses Land Brandenburg auch in den kommenden 25 Jahren beeinflussen werden. Deshalb erlauben Sie mir, dass ich in meiner Regierungserklärung nicht nur auf die letzten 25 Jahre eingehe, sondern auch etwas zur aktuellen Situation sage.
Die aktuelle Situation sieht so aus: Heute ist vollkommen klar, dass unsere Zukunft von neuen Mitbürgern geprägt sein wird - von neuen Mitbürgern, die in unserem Land Sport treiben, deren Kinder mit unseren Kindern und Enkeln in die Schule gehen, von Menschen, die ihre Heimat verloren haben und bei uns eine neue Heimat finden wollen oder schon gefunden haben.
Lassen Sie mich zunächst kurz zurückblicken: Wenn ich an 25 Jahre Brandenburg denke, denke ich - wie sicher viele von uns - noch an die schwierigen Jahre des wirtschaftlichen Aufbruchs. Wir denken daran, wie Strukturen entstanden sind, die es in dieser Art und Weise vorher nicht gab - beispielsweise an die Gründung der Industrie- und Handelskammern Anfang 1990 sowie an viele Betriebsgründungen.
Wir denken an den Mut vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger, sich selbstständig zu machen und nicht nur für sich selbst Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch vielen Menschen aus ihrer Region oder ihrer Stadt Arbeit zu geben.
Ich denke aber auch an die schwierige Treuhandpolitik und den harten Kampf um jeden einzelnen Industriebetrieb in unserem Land - Kämpfe, die wir zu oft verloren haben, aber, Gott sei Dank, auch einige Male gewinnen konnten.
Ich denke an erfolgreiche Privatisierungen wie die des PCK Schwedt im Februar 1991 oder an die Übernahme des Standorts Schwarzheide durch die BASF schon im Jahr 1990. Ich denke an das EKO in Eisenhüttenstadt, an das Stahlwerk in Hennigsdorf und viele andere.
Ja, es ist uns gelungen, wichtige industrielle Kerne in unserem Land zu erhalten. Es war mühsam, aber es war entscheidend für das Aufblühen unserer Wirtschaft in den späteren Jahren, und es ist nach wie vor die Grundlage unserer Brandenburger Wirtschaft. Es wird auch die Grundlage dessen sein, was wir bis 2040 erreichen wollen: mehr zu sein als das Umland von Berlin, aus eigener Kraft weiterzuwachsen, Arbeitsplätze für alle zu bieten, die arbeiten wollen und können, aber auch ein Ort zu sein, an dem unsere Kinder gut ausgebildet werden und eine Perspektive haben, und - auch das gehört dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren - als Land Brandenburg ein Ort zu sein, der für andere und anderes offen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ganz entscheidend war deshalb die Gründung der drei brandenburgischen Universitäten und der sechs Fachhochschulen im Jahre 1991. Das war der Start in die akademische Ausbildung in unserem Land. Davon profitieren wir heute - nicht nur die jungen Menschen, die an diesen Fachhochschulen und Universitäten eine hervorragende Ausbildung erhalten, sondern gerade auch unsere Hochtechnologieunternehmen wie Rolls-Royce und MTU. Anders gesagt: Unsere frühe Investition in kluge Köpfe wird heute durch Innovation und Wachstum für unser Land belohnt.
Das Thema Wachstum bringt mich auf das Jahr 2005. Es war - auch damals sehr umstritten - die Geburtsstunde der Förderstrategie „Stärken stärken“. Da nahm die Erfolgsgeschichte unserer Regionalen Wachstumskerne ihren Lauf. Von da an haben wir - später verstärkt auch gemeinsam mit Berlin - auf unsere Kompetenzen fokussiert. Zukunftsbranchen wie die schon erwähnte Luft- und Raumfahrtindustrie haben in erheblichem Maße davon profitiert, und nicht nur sie.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wirtschaftliche Entwicklung darf und soll kein Selbstzweck sein. Wirtschaft muss immer für die Menschen da sein. Hinter all diesen Maßnahmen stand deshalb auch immer ein arbeitsmarktpolitisches Ziel, und das lautete: Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.
Arbeit ist seit den 90er-Jahren das zentrale Thema in unserem Land; daran hat sich bis heute nichts geändert, und ich glaube, daran wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern.
Der Transformationsschock saß tief, Sie wissen das. Wir alle erinnern uns an Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, die von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Viele von uns waren es selbst und haben dem Land auf der Suche nach Arbeit den Rücken kehren müssen. Ich betone an dieser Stelle: Unser wirtschaftlicher und unser sozialer Aufbruch im Großen besteht bei genauer Betrachtung aus vielen, vielen Aufbrüchen im Kleinen!
Es waren die Brandenburgerinnen und Brandenburger, die in sehr schwierigen Situationen nicht aufgesteckt haben, die trotz unterbrochener Erwerbsbiografien, trotz teils jahrelanger Arbeitslosigkeit und mitunter mehrfacher Umschulungen nicht aufgegeben haben. Mehr als 80 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die 1989/90 einen Beruf ausgeübt haben, mussten mindestens einen neuen Beruf erlernen, manche sogar zwei, einige sogar drei neue Berufe, um in dieser neuen Arbeitswelt anzukommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zahl zeigt beeindruckend, was die Basis unserer heutigen Stärke ist: Es sind der Mut, die Ausdauer und das Durchsetzungsvermögen der Menschen hier in unserem Land.
Schon in den ersten fünfzehn Jahren wurde unter teilweise schwierigen Bedingungen Großes geleistet. In diesen Jahren wurde der Grundstein für das starke Wirtschaftsland gelegt, das wir heute sind. Endgültig geplatzt aber ist der Knoten seit etwa einem Jahrzehnt. Seitdem hat unser Wirtschaftsstandort nicht nur regelmäßig Preise erlangt, sondern er hat sich über alle Maßen dynamisch entwickelt. Die Wirtschaft hat sich auch als robust erwiesen, als eine Finanz- und Wirtschaftskrise tobte, und die Arbeitslosigkeit konnte in den letzten Jahren von knapp 20 % auf weit unter 10 % gesenkt werden.
Genau darum geht es! Es geht darum, dass wir Wohlstand erwirtschaften, und es geht darum, Menschen in gute Arbeit zu bringen und sie an diesem erwirtschafteten Wohlstand angemessen teilhaben zu lassen.
Der Kreis schließt sich mit Beginn dieses Jahres mit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Ost und West. Auch dafür hat Brandenburg lange gekämpft. Wir haben besonders darum gekämpft, dass Ostdeutschland nicht zu einem Billiglohnland wird. Auch dieser gesetzliche Mindestlohn trägt heute schon maßgeblich dazu bei, dass das Leben in unserem Land ein besseres Leben geworden ist.
In den 90er-Jahren sind wir oft als „die kleine DDR“ verspottet worden, Brandenburg, die kleine DDR, die ein gut ausgebautes Kita-Netz hatte - damals sehr umstritten, vor allen Dingen in den westlichen Teilen der Bundesrepublik -, Brandenburg, das Land, das sich sehr für den Erhalt der Polikliniken eingesetzt hat - heute sind Ärztezentren in Krankenhäusern das Normalste der Welt, damals war das für viele Mediziner sozusagen ein Tabubruch.
Regine Hildebrandt hat diese Diskussion an vorderster Stelle geführt. Regine Hildebrandt hat der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einen anderen Anstrich verpasst, als viele Traditionalisten im Westen das gern gesehen hätten. Sie hat als Erste klargemacht, dass wir keine und keinen vergessen dürfen. Sie hat dafür gesorgt, dass denen geholfen wird, die in Not sind. Regine Hildebrandt, meine sehr verehrten Damen und Herren - darauf können wir alle gemeinsam stolz sein -, war eine aus diesem Haus. Sie war eine von uns, und sie bleibt in unseren Herzen.
Sie hat definiert, was wir unter guter Sozialpolitik verstehen wollen. Ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger haben in ihrem Geiste Politik gestaltet. Vor allem jedoch: Sie hat sich auch etwas getraut, und Risikobereitschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren, passte auch sonst zu einem Land, das erst noch aus den Startlöchern herausmusste. Ja, wir haben oftmals das Risiko gewählt, im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung, in der Hoffnung auf Arbeitsplätze in unserer Heimat, und meist sind wir belohnt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Erlauben Sie mir an dieser Stelle aber auch einige Worte zu unserem größten Infrastrukturprojekt, das in den letzten Tagen wieder die Schlagzeilen dominiert hat.
Erstens: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Geschäftsführung des Flughafens BER auf dem richtigen Kurs ist.
Zweitens: Ich bin ebenfalls fest davon überzeugt, dass politischer Druck zur Einhaltung von Eröffnungsterminen falsch ist, und ich gehe davon aus, dass der von der Geschäftsführung genannte Termin eingehalten werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Dieser Einschub war, glaube ich, nötig, weil er zeigt, dass wir nicht nur in den vergangenen Jahrzehnten Schwierigkeiten und Probleme hatten.
Es gibt viele Dinge, an denen sich die gute Entwicklung unseres Landes ablesen lässt. Wenn ich aber gefragt werde, was der Charakter dieses Landes ist, sage ich: Schaut auf die Brandenburgerinnen und Brandenburger, und schaut vor allen Dingen darauf, wie sie mit der derzeitigen Flüchtlingssituation hier in unserem Land umgehen. Nicht nur Städte und Infrastruktur, nicht nur Wirtschaft und Arbeitsmarkt, nicht nur Natur und Landschaft haben in den letzten 25 Jahren gewonnen, nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, die eigentliche Gewinnerin ist unsere Gesellschaft.
Wir Brandenburgerinnen und Brandenburger haben gelernt, dass Freiheit immer auch Verantwortung bedeuten muss. Viele von uns hatten jahrzehntelange staatliche Bevormundung in der DDR hinter sich, aber wir haben uns in den letzten 25 Jahren als Gesellschaft neu erfunden. Es ist genau das entstanden, was man eine starke Zivilgesellschaft nennt, und diese starke Zivilgesellschaft - das freut mich ohne Ende - zeigt sich in diesen Tagen von ihrer besten Seite.
Mittlerweile gibt es gut 100 Willkommensinitiativen in Brandenburg. Es gibt Demonstrationen für Toleranz, es gibt Runde Tische für Integration, es gibt ungemein engagierte Kirchengemeinden und Sportvereine. Es gibt jede Menge guter Ideen und Projekte im ganzen Land Brandenburg. Dennoch, die Hände in den Schoß legen können wir nicht. Staat und Gesellschaft müssen weiter klare Kante zeigen. Und das tun wir. Es gilt das Prinzip „Null Toleranz gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass“. Dafür steht diese Landesregierung, und dafür steht unsere Brandenburger Zivilgesellschaft.
Überall, wo rechtsextreme Aktivitäten bekannt werden, zeigt das demokratische Brandenburg Flagge. Darauf, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir stolz sein, auch, weil hier jahrelange Arbeit an der Basis Früchte trägt, etwa durch unser Netzwerk „Tolerantes Brandenburg“.
Klare Kante gegen rechts heißt aber nicht, die aktuelle Situation schönzufärben. Die Herausforderung durch die nicht abreißende Flüchtlingswanderung ist gewaltig und die Lage auch für Brandenburg dramatisch. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir werden diese Herausforderung nicht weglächeln, sondern wir sollten Probleme erkennen und benennen. Nur dann können wir daran arbeiten, nur dann können wir das Beste aus der Situation machen - im Sinne der Flüchtlinge, die unsere Hilfe brauchen, und auch im Sinne unseres Landes.
Mittlerweile erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deutschlandweit 800 000 Asylsuchende allein für dieses Jahr. Kurzfristig heißt das vor allem für uns, dass wir Kapazitäten der Erstaufnahme stärker erweitern, als wir im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung beschlossen hatten. Denn eins steht fest: Kein Flüchtling, der in Brandenburg ankommt, darf auf der Straße landen.
Sie wissen: Nicht nur unsere Zentrale Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt ist seit Wochen am Limit. Mein Lob und Respekt und mein großer Dank gilt daher den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Aufnahmeeinrichtungen. Ihre Arbeit ist wichtig, derzeit ganz besonders. Das Gleiche gilt für Hilfsorganisationen, Polizei, Bundeswehr, den BLB, die Wohnungsunternehmen, die Landkreise, Kommunen und die zahlreichen Tausenden freiwilligen Helfer. Sie alle sind eingespannt, sie alle leisten Großes, häufig an der Grenze der Belastbarkeit.
Wenn man sieht, was auf vielen Bahnhöfen, auf dem Weg in die Erstaufnahmelager der Länder und auch in Eisenhüttenstadt passiert, dann weiß man: Deutschland ist in einer Ausnahmesituation, und auch Brandenburg ist in einer Ausnahmesituation. Dieser Zustand, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf nicht zur neuen Normalität werden. Wir müssen dringend wieder zu einem geordneten Verfahren zurückkehren, in Deutschland und Europa.
Ich sage ganz ausdrücklich: Deutschland muss seiner Verantwortung gegenüber diesen Menschen, die auf der Flucht vor Bürgerkrieg und Verfolgung sind, gerecht werden. Ich bin stolz darauf, dass wir ein offenes und humanistisches Land sind.
Aber ich sage auch: Deutschland wird diese Verantwortung nicht allein tragen können. Es kann nicht sein, dass wir in der Europäischen Union weiter über Kontingente diskutierten. Gestern Abend ist ein erster Schritt gemacht worden, aber es müssen dringend weitere folgen. Wir brauchen ein übergreifendes und verbindliches europäisches Regelwerk, und dazu gehört ein gerechter Verteilungsmechanismus.
Auch wenn die Einführung von Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich umstritten ist, halte ich sie aktuell für richtig. Es kann hier nicht darum gehen - damit wir uns da nicht missverstehen -, Europa abzuriegeln. Das wäre zutiefst unmenschlich, und das ginge gegen jede politische Überzeugung, für die ich stehe.
Aber wir müssen auch die Dynamik unter Kontrolle bringen, und wir müssen europaweit zu einem geordneten Verfahren zurückkehren. Sonst - und das muss man auch klar sagen - sind alle Beteiligten langsam aber sicher überfordert. Das muss vor allen Dingen die Bundesregierung unseren europäischen Partnern klarmachen.
Aber sie ist auch hier in Deutschland in der Pflicht. Denn was wir jetzt brauchen, ist eine gemeinsame Kraftanstrengung für das, was die Bundesregierung immer wieder gesagt hat: Wir stehen vor einer nationalen Herausforderung. Meine Haltung ist klar: Der Bund darf Länder und Kommunen nicht länger alleine auf den Lasten der Flüchtlingsunterbringung sitzen lassen. Was aus Berlin an Unterstützung kommt, gerade auch finanzieller Natur, ist noch immer viel zu wenig. Morgen werden wir in Berlin ein weiteres Gespräch dazu mit der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin haben, und ich werde Ihnen am Freitag hier an dieser Stelle ganz aktuell berichten.
Dazu kommt ein weiteres Problem, das immer noch nicht gelöst ist, auch wenn jetzt ein neuer Chef beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Herr Weise, ernannt worden ist: Wir müssen die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen dringend verkürzen. Das ist wichtig für die Menschen, die Asyl beantragen.
Klar ist: Unabhängig von dem, was in Berlin oder Brüssel passiert, wir hier in Brandenburg müssen jederzeit imstande sein, schnell und koordiniert zu handeln. Wir haben deshalb ein Asylkabinett ins Leben gerufen, und wir haben im Innenministerium einen Koordinierungsstab eingerichtet, der seitdem auf Hochtouren arbeitet. Wir haben auch einen regelmäßigen Dialogprozess mit Kommunen und Zivilgesellschaft in Gang gesetzt, und wir werden ihn fortführen.
Doch es geht längst nicht nur um Koordinierung. Es geht vor allem um schnelle und unbürokratische Hilfe. Zwei Dinge sind mir da besonders wichtig:
Erstens: Wir unterstützen die Kommunen bei der dauerhaften Bereitstellung von ausreichendem Wohnraum durch rechtliche Vereinfachung, aber auch durch Fördermittel. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erhöhen wir von 40 auf 70 Millionen Euro, um vor allem im Berliner Umland, wo wir schon heute eine angespannte Wohnungssituation haben, mehr bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.
Zweitens: Wir unterstützen die zivile Willkommenskultur und Integrationshilfe. Wir werden unseren Fonds zur Unterstützung der Willkommensinitiativen weiter aufstocken.
Meine Damen und Herren,
Brandenburg steht vor einer kolossalen Aufgabe. Jeden Tag kommen neue Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns. Viele von ihnen sind traumatisiert. Es gibt Sprachbarrieren, und es gibt noch andere Integrationshürden. Mancher wird sicher auch darunter sein, dem die Integration schwerer fallen wird als anderen.
Ja, es gibt auch Probleme. Und auch in Zukunft wird vielleicht nicht alles sofort reibungslos funktionieren. Eine rosa Brille wäre hier also fehl am Platz.
Wir dürfen Integrationsbereitschaft einfordern. Aber es ist unsere Pflicht, Integration auch zu ermöglichen – aus humanistischer Überzeugung heraus, aber vor allen Dingen, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch aus unserem eigenen Interesse. Deshalb werden wir Geld in die Integration von Flüchtlingen investieren müssen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die wichtigste Investition in die Zukunft. So können wir in Zukunft nicht nur ins Portemonnaie schauen, sondern wir können auch in den Spiegel schauen.
Seit Jahren diskutieren wir hier an dieser Stelle den demografischen Wandel. Wir diskutieren die Schwierigkeiten bei der Fachkräftesicherung und viele andere Herausforderungen für unser Land. Einwanderung, aber vor allem erfolgreiche Integration, kann uns helfen, beide Herausforderungen in Zukunft besser zu meistern.
Deshalb werden und dürfen wir eines nicht aus den Augen verlieren: Flüchtlinge und Asylbewerber gehören mitten in unsere Gesellschaft. Sie gehören in unsere Städte und Dörfer, Tür an Tür mit Brandenburgerinnen und Brandenburgern. Sie gehören auf die Nachbarschaftsfeste und in die Sportvereine. So werden Grenzen abgebaut, so werden Vorurteile überwunden. So kann Integration am besten gelingen, und daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Nein, es kommen nicht nur syrische Ärzte nach Brandenburg. Aber es kommen Menschen, die hochmotiviert sind, die motiviert sind, in unserem Land Fuß zu fassen, Menschen, die vielleicht heute noch keinen hohen Bildungsstandard haben, aber gewillt sind, sich zu bilden und in diesem Land eine Rolle zu spielen. Also noch einmal: Was jetzt zählt, ist Integration, Integration und Integration.
Vor diesem Hintergrund arbeiten wir in der Landesregierung derzeitig an einer Novelle des Landesaufnahmegesetzes. Das Ziel lautet kurz gefasst: mehr Personal und mehr Geld für eine dauerhafte und erfolgreiche Integration.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das wird keine Aufgabe für die nächsten Monate sein, es wird eine Aufgabe für die nächsten Jahre und vielleicht sogar für die nächsten Jahrzehnte sein. Vor zwei Jahren waren es noch gut 1 100 schulpflichtige Kinder, die wir in unsere Schulen eingegliedert haben, in diesem Jahr sind es 4 300. Wir müssen deshalb zusätzliche Landesmittel in die entsprechende Beratung von Schulen, aber auch in Fortbildung für Lehrer und Betreuungskräfte fließen lassen. Gleichzeitig stellen wir natürlich ausreichend zusätzliche Lehrer ein, und ich bitte Sie, liebe Pädagoginnen und Pädagogen: Nehmen Sie diese große Herausforderung an, es wird sich für uns alle lohnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir konnten es ja heute Vormittag erleben: Auch in Brandenburg gibt es Ängste und Vorurteile. Auch in Brandenburg gibt es Übergriffe und Anschläge. Aber es gibt in Brandenburg eben auch eine übergroße Mehrheit der Anständigen und Tüchtigen.
Diese Anständigen und Tüchtigen haben Brandenburg aufgebaut. Auch sie üben hier und da Kritik, und das ist auch wichtig. Und doch haben sie einen klaren moralischen Kompass. Sie haben Selbstvertrauen, weil sie gelernt haben, Herausforderungen zu meistern. Und ich glaube, Sie werden mir in einem zustimmen: Wir lassen uns das, was wir hier aufgebaut haben, nicht kaputtmachen! Wir lassen es uns nicht kaputtmachen von rechten Einfallspinseln, wir lassen es uns nicht kaputtmachen von den Feinden dieser Gesellschaft und nicht von Rechtsterroristen!
Noch einmal: Es liegt eine große Herausforderung vor uns, aber wir packen es - auch jetzt.
Wir packen es, weil in den Kommunen trotz aller Probleme Großes geleistet wird. Wir packen es, weil Wirtschaft und Gesellschaft längst erkannt haben, welche Chance eine gelungene Integration für unser Land bedeutet. Und wir packen es, weil wir eine starke Zivilgesellschaft haben. Das passende Motto zum Jubiläum: 25 Jahre Brandenburg und das Herz am rechten Fleck.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ja, die Sozialdemokratie steht seit 1990 in Verantwortung für unser Land. Sie hat die positive Entwicklung intensiv vorangetrieben und Rahmenbedingungen gestaltet. Fünf Parteien haben seit 1990 in diesem Land regiert. Und wer von uns weiß, welche Koalitionen sich in den nächsten 25 Jahren noch ergeben können? Deshalb ist es mir wichtig, eines klarzustellen: Es stimmt - um Willy Brandt zu zitieren -, dass jede Zeit ihre eigenen Fragen stellt und ihre eigenen Antworten braucht. Aber wir als Demokraten sollten durchgehend die Spielregeln des kritischen aber auch des konstruktiven Umgangs miteinander beachten. Denn die Fragen, vor denen wir morgen stehen, können nur von uns allen gemeinsam beantwortet werden.
Brandenburg ist das Land der Vielfalt, aber Brandenburg ist auch das Land der Demokraten - draußen im Land und hier drinnen im Landtag. Deshalb danke ich den Partnern von gestern und denen von heute! Eines schließlich eint uns in aller Vielfalt: Wir alle suchen nach dem besten Weg für die Zukunft unseres Landes!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir über 25 Jahre Brandenburg sprechen, dann möchte ich kurz an die frühen Anfänge erinnern. Bis heute prägt unser Land ein Geist von Freiheit und Selbstbestimmung. Dieser Geist hat seinen Ursprung in der friedlichen Revolution von 1989/90.
In dieser Umbruchphase entstand auch der politische Gestaltungswille, der fortan für unser Land prägend war. Er entstand vor allem durch die Erfahrungen der Runden Tische. Dieser basisdemokratische Anspruch prägte besonders die Arbeit an unserer Landesverfassung. Diese Verfassung trat am 21. August 1992 in Kraft, und sie war nicht das Werk einer politischen Elite, sondern sie war ein Werk, an dem viele Personen des öffentlichen Lebens beteiligt waren. 94 % der Brandenburgerinnen und Brandenburger haben im Juni 1992 per Volksentscheid zugestimmt. Kurzum: Unsere Verfassung gehört nicht nur zu den progressivsten in Deutschland, sie kommt auch mitten aus unserer Brandenburger Gesellschaft.
Wir Brandenburgerinnen und Brandenburger haben entschieden: Brandenburg soll ein besonders soziales, ein besonders offenes und ein besonders tolerantes Land sein. Übrigens hatten alle diese Erfahrungen eine wichtige Folge - und das war Anfang der 90er-Jahre so nicht vorhersehbar: Es entstand relativ schnell eine gemeinsame Brandenburger Identität. Es entstand das Bewusstsein: Wir packen gemeinsam an für unsere Zukunft!
Es gab weitere bedeutsame und historische Momente. Einer davon war der 31. Juli des Jahres 2006: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, erstmals seit der Shoah wurden auf deutschem Boden Rabbiner ordiniert - ein wichtiger Schritt zur Normalität und ein Verdienst insbesondere von Rabbiner Walter Homolka und dem Abraham Geiger Kolleg in Potsdam.
Während diese erste Rabbinerordination etwas Historisches hatte, ist christliches Leben in unseren Städten und Gemeinden etwas völlig Normales. Die evangelische und die katholische Kirche gehören nicht nur zu Brandenburg, sie sind aus diesem Land schlichtweg nicht wegzudenken.
Die Leistung auf karitativem Gebiet von Diakonie und Caritas gehen mir manchmal ein wenig unter, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, da geschieht ungemein Wichtiges - gerade dieser Tage, gerade im Sinne der Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung sind. Was da passiert, ist der erste Schritt zur Integration: dass Menschen nicht nur untergebracht und versorgt werden, sondern mit Wärme empfangen werden und damit sich endlich zu Hause fühlen können. Ich sage: Gott sei Dank, dass die Kirchen ein starker und wichtiger Teil unseres Landes sind!
25 Jahre Brandenburg heißt sichtbare Veränderungen. 25 Jahre Brandenburg heißt: Wir Brandenburgerinnen und Brandenburger haben dieses Land gemeinsam geprägt. Denken Sie daran, wie unsere Städte vor 25 Jahren ausgesehen haben und wie sie heute aussehen. Denken Sie daran, wie unsere Dörfer vor 25 Jahren ausgesehen haben und wie sie heute aussehen. Denken Sie an den 26. Januar des letzten Jahres, an die Eröffnung dieses wunderschönen neuen Landtages.
Damals hieß es, Potsdam hat seine Mitte zurück. Und Ähnliches passierte in den vergangenen 25 Jahren in vielen brandenburgischen Städten. Die umfangreiche Sanierung und Wiederbelebung unserer Innenstädte - auch das ist Brandenburger Geschichte, und davon profitieren wir heute, ganz klar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Entwicklung unseres Landes trägt die Handschrift der Brandenburgerinnen und Brandenburger. Denken Sie beispielsweise an die Konversion in der Kyritz-Ruppiner Heide, denken Sie an die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land, an die Umgestaltung der Bergbaufolgelandschaften ‑ ein weltweit ungekanntes Ausmaß an Rekultivierung und Sanierung. Oder machen Sie bei Ihrer geistigen Tour über die Lausitzer Seen einen kleinen Ausflug in den Spreewald und treten Sie in Kontakt mit Menschen, die sorbische Tradition nicht nur als Tradition empfinden, sondern die sorbisches Leben verkörpern und dieses Leben pflegen. Sie wird auch in Zukunft weit mehr sein als Folklore, sie ist gelebte Vielfalt hier in Brandenburg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir haben vor 17 Jahren die Finanzierung der sorbischen Einrichtungen in einem Staatsvertrag geregelt. Ich glaube, es ist ein sehr guter Vertrag für die Stiftung für das sorbische Volk. Hier sind die Stichworte ganz klar Eigenständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit. Das sind die Dinge, um die es geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ob Babelsberg 03 irgendwann gegen Hertha BSC im ausverkauften Olympiastadium in der 1. Bundesliga gewinnt, weiß ich nicht.
Sicher bin ich mir hingegen, dass diejenigen, die Woche für Woche ehrenamtlich aktiv sind in unseren Vereinen, die Kinder- und Jugendsport organisieren, die sich beim Roten Kreuz als Helfer, beim THW oder bei der Feuerwehr engagieren, auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unsere Helden des Alltags sein werden. Umso wichtiger ist unsere Aufgabe, die Vereine so gut zu fördern, wie wir können. Ohne Ehrenamt wäre dieses Land ganz, ganz arm dran.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sinken weiter; unsere Gesellschaft steht zusammen; Fremde werden herzlich begrüßt und aufgenommen; soziale Sicherheit ist klar definiert: Wer Hilfe braucht, dem wird geholfen. Die Zusammenarbeit mit Berlin gedeiht in den unterschiedlichsten Bereichen trotz unterschiedlicher Auffassung zu einigen Punkten; unsere Polizei leistet hervorragende Arbeit; und Verbundenheit und Austausch mit unseren polnischen Nachbarn wachsten stetig; Stettin, Posen, das Lebuser Land und Niederschlesien sind sehr, sehr wichtige Partner für uns. Wir haben den Haushalt des Landes auf null Neuverschuldung gestellt und gezeigt, dass wir mit Geld gut umgehen können. Unsere Universitäten glänzen mit dem, was in Lehre und Forschung geleistet wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben in den vergangenen 25 Jahren viel geleistet! Auf diese Leistung können sie zu Recht stolz sein!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.